Erreichbarkeit und künstliche Intelligenz

von Dirk Niederhaus und Dr. Götz Volkenandt

Kunden sollen über zwei Minuten warten, bevor sich jemand am Telefon meldet?
Nur etwa 15% der Unternehmen sind im Bereich KI aktiv? Noch weniger haben eine KI-Strategie.


Wie passt das zusammen, wenn man nicht "vor Reichtum geschlossen hat". Unternehmen strengen sich viel zu wenig an, um besser zu werden. Insbesondere die Nachsichtigkeit von Kunden wird deutlich "überdehnt". Es gibt heutzutage keinen Grund mehr, Kunden am Telefon warten zu lassen und mit Musik "berieseln" zu lassen, manchmal nicht einmal das.
Wir haben über drei Monate bei 358 Unternehmen unterschiedlicher Branchen angerufen. Das Ergebnis: Die durchschnittliche Wartezeit betrug ca. 2 Minuten und 20 Sekunden. Kein einziger Kunde nimmt das entspannt hin. Nur etwa 17% haben es geschafft, innerhalb von 30 Sekunden den Hörer abzunehmen, d.h. ca. 83% der Unternehmen brauchen länger. Sicher: das ist nur eine Stichprobe. Aber 30 Sekunden sind eine lange Zeit. Das merkt man, wenn man bewusst 30 Sekunden wartet oder warten muss.

Was steckt dahinter?
Wir können hier nur Thesen aufstellen, die allesamt natürlich nicht allzu ernst gemeint sind:

  • einige Unternehmen glauben, dass die besten Kunden sehr viel Zeit haben,
  • einige Unternehmen glauben, dass sie so gut sind, dass Kunden gern auf eine Gesprächspartner warten,
  • einige Unternehmen erreichen die Planzahlen auch ohne weitere Anstrengung,
  • einige Unternehmen meinen, dass eine bessere Erreichbarkeit zulasten der eigenen Mitarbeiter geht,
  • einige Unternehmen halten Kunden für lästig,
  • ...

Einen ernsten Kern haben diese Thesen alle:

Man kann sich kaum eine gute Erklärung dafür vorstellen, dass Unternehmen so schlecht erreichbar sind. Dazu brauchen Unternehmen auch keine komplizierten Untersuchungen anstellen, es reicht vollkommen, wenn der CEO ab und zu selbst einen Anruf macht.

Systematisch haben wir die Zeiten der Erreichbarkeit nicht untersucht; doch auch hier stellt sich heraus, dass z.B. Banken und Versicherungen oftmals nur Montag bis Freitag bis 18:00 (im Vertrieb) ereichbar sind. Wann haben Kunden besonders viel Zeit, sich um finanzielle Aspekte zu kümmern? Richtig: Nicht in der Mittagspause. Abends auf dem Sofa bleibt also für viele Kunden nur die Möglichkeit, sich bei reinen Online-Anbietern zu informieren. Interessanterweise bieten diese sogar tendenziell eher außerhalb der normalen Arbeitszeiten telefonische Beratung an.
Schauen wir uns die Zeiten der so oft gepriesenen mittelständischen Industrie an, so bekommt man manchmal einfach nur dauerhaft ein Freizeichen, d.h. das Telefon ist unbesetzt und wird nicht umgeleitet. Ernsthaft? Im Jahr 2020 tragen wir in vielen Unternehmen superlative Attribute vor uns her: "smart", "super", "individuell" und gleichzeitig sind wir in der Deutschland AG für Kunden nicht einmal erreichbar?

Um es hier auf den Punkt zu bringen: Jedes Unternehmen, dass Telefonnummern für Kunden explizit im Internet veröffentlicht, sollte auch gut erreichbar sein. Das ist Pflicht, keine Kür. Wenn man das aus Kostengründen nicht immer sicherstellen kann, dann hilft es, sich mit dem Thema Digitalisierung ernsthafter zu beschäftigen. Der Einsatz künstlicher Intelligenz ist kein exotisches Thema mehr; viele Lösungen sind machbar, auch wenn es natürlich auch schlechte Umsetzungen gibt. Viele Unternehmen sind abgeschreckt, weil selbst einfache Chatbots nicht immer "eine gute Figur machen". Das sollte aber nciht abschrecken, denn die Entwicklung gerade in diesem Bereich schreitet sehr schnell voran. Manch ein Unternehmen gewinnt bereits freie Telefonkapazitäten dadurch, dass ein Chatbot oder ein Mailbot die einfachsten Fragen beantwortet und damit nicht die wertvollen Vertriebsmitarbeiter belastet.
Doch künstliche Intelligenz kann noch viel mehr. Viele Prozesse sind teilweise digitalisiert. Es hat natürlich Vorteile, wenn Dokumente digital an jedem Arbeitsplatz verfügbar sind und bearbeitet werden können. Manuelle Zwischenschritte sorgen allerdings dafür, dass die Prozesse immer noch sehr langsam sind. RPA (Robotic Process Automation) ist ein Ansatz, um sehr einfache manuelle Zwischenschritte zu ersetzen. Aber natürlich geht sehr viel mehr. Wenn man sich als Unternehmen damit systematisch beschäftigt, so zeigen sich erst die enormen Potenziale der Digitalisierung. Durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz verschiebt sich die Grenze der Machbarkeit nochmal sehr deutlich.

So bleibt uns hier nur der Appell:

Lassen Sie das Potenzial nicht ungenutzt, nicht nur im Vertrieb. Es gibt so viele nicht durchgehend digitalisierte Prozesse. Die Potenziale sind enorm ... und es darf nicht sein, dass es im Jahr 2020 immer noch Unternehmen gibt, die keine "KI-Strategie" haben. Wen "KI-Strategie" schreckt: Es handelt sich immer um Unternehmensstrategie, nur der Anteil der Technologie wird sicher nicht mehr sinken ...