Konzeption von Chatbots und anderen KI-Systemen

von Dr. Götz Volkenandt

Braucht man eine Konzeption oder kann man KI-Produkte von der Stange kaufen?

Chatbots werden von vielen ja nicht als "richtige künstliche Intelligenz" angesehen. Das ist auch kein Wunder, wenn man sich den aktuellen Stand der aktiven Systeme anschaut. Dabei kann man eigentlich nur jedem Unternehmen und auch einigen öffentlichen Verwaltungen gratulieren, die sich dazu durchgerungen haben, ein "Stück" künstliche Intelligenz einzuführen. Und natürlich können und werden sich einige der in Betrieb befindlichen Systeme durch gezieltes Training auch noch weiterentwickeln.

Doch der Reihe nach: "Für Ihre Fragen stehen wir Ihnen gerne montags bis freitags von 8.00 Uhr bis 20.00 Uhr im Live-Chat zur Verfügung!", das ist bereits ein weitgefasstes Angebot. Noch weiter geht "7 - 24 Uhr: Rufen Sie an - gebührenfrei!". Viele Unternehmen bieten ihren (potenziellen) Kunden eine weitgehende telefonische Erreichbarkeit und manche auch einen persönlichen Live-Chat an. Das ist gut, weil man Geschäfte nur machen kann, wenn man erreichbar ist. Dass es eine Telefonnummer gibt, bedeutet für einen (potenziellen) Kunden im Durchschnitt eine Wartezeit von ca. 2 Minuten und 20 Sekunden, das hatten wir in einer Stichprobe ermittelt. Chatbots sind ein Weg, als Unternehmen oder Verwaltung rund um die Uhr ohne Wartezeiten erreichbar zu sein. Deshalb haben sich viele Organisationen bereits dafür entschieden und Systeme eingeführt.

Beispiel aus der Versicherungsbranche:

Chatbot: "Ich bin die virtuelle Assistentin der xyz-Versicherung. Gerne bin ich Ihnen bei Ihrer Anfrage behilflich. Stellen Sie mir entweder eine individuelle Frage oder wählen Sie bequem aus unseren häufigsten Kundenanliegen aus."
Nutzer: "Wiviel kostet eine Hausratversicherung für einen Hausrat mit einem Wert von ca. 50.000 Euro?"
Chatbot: "Diese Frage hatte ich noch nicht. Vielleicht kann ich sie beantworten, wenn Sie sie anders oder einfacher stellen?"

Ein anderes Beispiel, Bürgerservice einer Großstadt:

Chatbot: "Wie kann ich Ihnen helfen? Um zu starten, tippen Sie Ihre Frage einfach unten in das Eingabefeld - z.B. 'Darf man wieder verreisen?'"
Nutzer: "Wo kann ich einen Bauantrag für den Neubau eines Einfamilienhauses abgeben?"
Chatbot: "Ich habe mehrere passende Dienstleistungen für Sie gefunden. Könnten Sie bitte die gesuchte Dienstleistung auswählen um fortzufahren? Zwangsversteigerung - Mitbieten | Zeuginnen und Zeugen - Entschädigung in Straf- und Bußgeldverfahren | Sachverständige - Vergütung in Straf- und Bußgeldverfahren | Fundsachen abgeben | online Fundsachen - Verlorene Sachen zurückbekommen | Die gesuchte Dienstleistung ist nicht dabei."
Nutzer klickt "Die gesuchte Dienstleistung ist nicht dabei."
Chatbot: "Es tut mir sehr leid. Könnten Sie vielleicht versuchen, Ihre Frage anders zu formulieren?"

So oder so ähnlich sehen die Erfahrungen mit vielen Chatbots aus.

Muss das so sein oder geht das auch anders?

Einige Führungskräfte sind bereits überzeugt, dass KI noch nicht weit genug entwickelt ist, um solche Art von Lösungen gut umzusetzen. Die meisten Lösungen werden von Dienstleistern im Auftrag umgesetzt. Schnell schleicht sich dann auch der Verdacht ein, dass die Dienstleisterauswahl nicht glücklich war. Wenn man mit den Beteiligten konkret über die Lösung spricht, ergibt sich allerdings ein anderes Bild:
Auftraggeber haben sich eine Turnkey-Lösung gewünscht und Auftragnehmer haben das Beste aus ihrer Sicht aus dem Projektbudget gemacht. Zugegeben, das ist sehr vereinfacht dargestellt, trifft aber unserer Meinung nach ein Kernproblem: Auftraggeber haben häufig noch nicht die richtige Expertise, um für ein geeignetes Konzept von KI-Lösungen zu sorgen, und die Dienstleister verstehen meist das Geschäft ihres Auftraggebers nicht oder sind selbst noch in der Lernphase bezogen auf KI-Lösungen.

Um das zu untermauern, schauen wir uns beispielhaft Chatbots als KI-Lösung an. Chatbots können zur Verbesserung der Zielerreichung z.B. in folgenden Bereichen eingesetzt werden:
- 24/7-Erreichbarkeit
- Kosteneffizienz
- Höhere Auskunftsqualität
- Reaktionsgeschwindigkeit

Zur Zielerreichung sind unterschiedliche Projektansätze denkbar:

Ein Chatbot kann dazu eingesetzt werden, häufig gestellte Standardanfragen zu beantworten, um die Mitarbeiter zu entlasten. Dazu müssen nicht alle Anfragen automatisiert beantwortet werden können. Lediglich der Übergang zur "manuellen" Bearbeitung sollte reibungsfrei sein. Man kann aber auch ein System konzipieren, dass ein umfangreiches Fragenspektrum in einem kleinen Bereich erfolgreich abdeckt, um z.B. diesen Bereich weitgehend zu digitalisieren. Auch kann man einen Chatbot eher als Suchmaschinenersatz konzipieren, d.h. die Ergebnisse sind mehr oder weniger Links zu Webseiten und keine konkreten Antworten. Sicherlich gibt es auch noch unterschiedliche Anforderungen an die Auskunftsqualität und die Integration in die bestehenden Kundenschnittstellen. Desweiteren ist zu berücksichtigen, wie das System neues Wissen erlernen soll. Auf der technischen Seite gibt es eine Vielzahl an potenziellen Lösungsansätzen, es gibt also keinen "Standard" für Chatbots (auch wenn sich das einige Anbieter wünschen würden).

Die Empfehlung lautet, immer zuerst aus dem Blickwinkel des zukünftigen Nutzers auf die Anforderungen zu schauen, sonst wird der Chatbot anschließend nicht genutzt werden oder eher negative Emotionen wecken. Dann geht es um die eigentliche Zielsetzung. Hierzu muss man die konzeptionellen Optionen kennen, die es gibt, angefangen bei "herkömmlicher IT" bis hin zu den KI-Ansätzen. Wohlgemerkt: hier geht es nicht um Anbieter, denn diese sollten erst am Ende der Konzeption ins Spiel kommen.

Doch worin unterscheidet sich nun eine Konzeption einer KI-Lösung von anderen IT-Lösungen?

KI-Lösungen haben besondere Eigenschaften, die es zu berücksichtigen gilt. Die meisten IT-Lösungen werden so konzipiert, dass ein bestimmter Teilprozess vollständig und fehlerfrei abgedeckt wird. Wenn wir eine KI-Lösung konzipieren, so wird diese mit Daten trainiert, die bereits in aller Regel Fehler und eine gewisse Streuung enthalten. Die Handschriftenerkennung kann hierzu als Beispiel dienen: manch ein handschriftlicher Buchstabe lässt sich auch von Menschen nicht eindeutig erkennen bzw. einem Buchstaben zuordnen. Wie sollte das dann eine Maschine können, die mit einer menschlichen Einschätzung (mehr ist es ja nicht) trainiert wurde. Hinzu kommt, dass einige Grundmechanismen von KI-Lösungen auf Näherungen und Bewertungsmechanismen basieren, die keine eindeutige Lösung erlauben. Anders als in der klassischen IT, in der man z.B. mit verschiedenen Programmiersprachen exakt das gleiche Ergebnis erreichen kann, ist das bei KI-Lösungen nahezu ausgeschlossen, da es völlig verschiedene Lösungsarchitekturen gibt. Wer die nicht kennt bzw. einschätzen kann, wird sich sehr schwer mit einer Konzeption einer KI-Lösung tun.

Wieder zurück zum Chatbot:
Bereits in der Konzeption wird festgelegt, ob man mehr Daten zum Training braucht oder im Vorfeld mehr heuristische Regeln entwickeln muss. Selbst eine Kombination der Ansätze ist möglich. Diese und weitere konzeptionelle Fragen müssen vor einem Projektbeginn gestellt werden. Wir rechnen im Schnitt für eine Grobkonzeption mit etwa 20% der Gesamtprojektkosten, was sicher mehr ist, als für diesen Schritt in den meisten herkömmlichen IT-Systemen ausgegeben wird. Diese 20% sichern aber zu einem viel höheren Anteil den Erfolg des Projektes ab.

Um hier mit einem versöhnlichen Beispiel diesen kleinen Beitrag abzuschließen, zeigen wir auch einen recht guten Chatbot (der sicher auch mit weiterem Training noch besser wird):

Chatbot: "Wie kann ich Ihnen helfen? Um zu starten, tippen Sie Ihre Frage einfach unten in das Eingabefeld - z.B. 'Wie kann ich einen Parkausweis beantragen?'"
Nutzer: "Wo kann ich einen Bauantrag für den Neubau eines Einfamilienhauses abgeben?"
Chatbot: "Ich habe mehrere passende Dienstleistungen für Sie gefunden. Könnten Sie bitte die gesuchte Dienstleistung auswählen um fortzufahren? Gateway Bauantrag - Service-Dienst | Gateway Bauantrag - Laufende Antragsverfahren | Baugenehmigung, Erteilung ..."
Nutzer klickt auf den dritten Link.
Chatbot: "Bitte geben Sie hier Ihre Adresse mit Straße an"
Nutzer gibt Adresse ein.
Chatbot zeigt zuständiges Amt mit Adresse.

Quintessenz:

Über Erfolg oder Misserfolg eines KI-Projektes wird in viel größerem Maße als bei klassischen IT-Projekten bereits in der Konzeptionsphase entschieden. Diese Konzeptionsphase muss sich auf die Zielsetzungen, Anforderungen und Lösungsansätze konzentrieren und daher herstellerneutral erfolgen. Ein Blick auf das Machbare kann natürlich nie schaden, sollte aber nicht blind machen. Werden die KI-Lösungen auch an der Schnittstelle zum Kunden eingesetzt, kann schnell ein Reputationsschaden entstehen, der nur mit Mühe wieder behoben werden kann.