Strategie-Governance: Eine unterschätzte Disziplin

für Aufsichtsräte und Vorstände

von Dr. Götz Volkenandt


Strategie im Corporate-Governance-Kodex

Selbst in der aktuellen Fassung des Corporate Governance Kodex taucht das Wort "Strategie" kaum auf. Vorstand und Aufsichtsrat sollen "Fragen der Strategie ... beraten". Und natürlich sind Risiken anzusprechen. Doch wie sollte eine gute Strategie-Governance konkret aussehen? Welche Themen sollte man als Aufsichtsrat auch aktiv im Blick haben? Welche Fragen sind an den Vorstand zu richten, um sicher zu sein, dass auch die strategischen Weichen zum Nutzen des Unternehmens gestellt wurden?

Schaut man sich die Strategien von Unternehmen in der Krise an, so lassen sich ex post leicht Versäumnisse identifizieren. Aber geht das auch ex ante? Welchen Einfluss können Aufsichtsräte hier überhaupt ausüben?

Tatsächlich kann die Wirkung von Aufsichtsräten nicht hoch genug eingeschätzt werden, wenn sie sich denn auch an strategische Themen heranwagen. Da sind z.B. die Best Practices im Strategieprozess; das sind einfache Regeln, die in der Strategiearbeit eingehalten werden sollten (müssen), wenn man denn nicht einen strategischen Blindflug machen möchte.

Best Practices in der Strategiearbeit

Ein Beispiel dazu: "Der Strategieprozess richtet sich ausschließlich nach den Anforderungen an die nächste Strategie und wird sich daher ständig verändern." Die beiden in diesem einen Grundprinzip der Strategiearbeit steckenden Anforderungen sind häufig nicht erfüllt. Das beginnt schon mit den fehlenden Anforderungen an die nächste Strategie: Welchen Impact soll die nächste Strategie haben, wie groß darf oder soll der Wandel werden? Was sind die Erwartungen an die nächste Strategie? So wundert es auch nicht, dass der Strategieprozess in jedem Jahr nach dem gleichen Muster abläuft, obwohl in manchen Jahren nur eine (leichte) Anpassung der letzten Strategie und in manchen Jahren eine disruptive Strategie angestrebt wird.

Ein weiteres Beispiel: "Das Strategieteam braucht ein klares Bild von der Zukunft." Auf welcher Basis könnte man sonst eine Strategie entwickeln? Wie werden sich die Mittel der Digitalisierung verändern, insbesondere auch durch die weiteren Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz? Ohne ein Bild davon zu haben, für welche Zukunft die Startegie entwickelt wird, muss man sich nicht wundern, dass die Startegien ideen- und leblos wirken; sie werden viel zu oft für die Gegenwart entwickelt und sind daher oft nicht zukunftstauglich. Auch dieser Themenkomplex lässt sich von Aufsichtsräten sehr gut "abklopfen" und führt zu fruchtbaren Diskussionen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat mit Lerneffekten auf beiden Seiten.

Weitere Beispiele finden sich in unserem Heft 20 der Management-Inspirationen, in dem es um die grundlegenden Prinzipien von Strategie geht.

Strategie-Governance als lohnenswerte Aufgabe für Unternehmen

Eine gute Strategie-Governance schafft damit Transparenz über die Strategiearbeit und die aktuelle Strategie, ihre Chancen und Risiken, ihren Fokus und ihre Blind Spots. Ein Beispiel für einen typischen Blind Spot: Welche Bedeutung haben die Führungskräfte in der Strategie des Unternehmens: Werden die Führungskräfte so ausgewählt und weiterentwickelt, dass sie als Führungsteam einen Wettbewerbsvorteil darstellen? ... oder geht es im Unternehmen eher um den Überlebenskampf untereinander (das vielzitierte Haifischbecken)? Ist das der richtige Fokus der Strategie? Aufsichtsräte wissen, dass die Diskussion einer Strategie schnell ein Fass ohne Boden werden kann. Trotzdem gibt es genügend Kriterien (z.B. unsere "grundlegenden Prinzipien"), die eine Diskussion zwischen Vorstand und Aufsichtsrat inhaltlich und strukturiert leiten können und das Potenzial haben, die Strategiearbeit im Unternehmen nachhaltig zu verbessern.

Wer nun glaubt, es handele sich um ein Thema nur für das Top-Management, der täuscht sich: Jeder Verantwortungsbereich im Unternehmen hat ein Geschäftsmodell und sollte eine Strategie haben. Denn jeder Verantwortungsbereich soll zum Erfolg des Unternehmens beitragen. Dazu bedarf es geeigneter Strukturen ... und diese Strukturen sind wiederum Gegenstand der strategischen Governance. Gerade in diesen Zeiten, in denen die Annahmen von gestern ihre Gültigkeit verlieren, z.B. im Bereich der Digitalisierung durch die neuen Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz, ist es umso wichtiger, dass die Arbeit an der nächsten Strategie gesteuert wird und nicht als Pflichtübung einer Einsammlung von Hausarbeiten der operativen Bereiche gleicht. Wir wünschen uns im Sinne der Eigentümer, der Belegschaft und des Managements, dass der Strategie-Governance in Zukunft eine größere Bedeutung zukommt.